LeSS vs. SAFe – Agilität prägt die moderne Unternehmenswelt. Während Scrum für kleinere Teams inzwischen vielerorts als Standard gilt, stellt die skalierte Agilität Unternehmen vor neue Herausforderungen. Besonders ab einer gewissen Projektgröße reicht die klassische Scrum-Implementierung oft nicht mehr aus. Genau an diesem Punkt setzen Frameworks wie Large-Scale Scrum (LeSS) und Scaled Agile Framework (SAFe) an. Doch welches dieser Modelle ist besser geeignet, um agile Prinzipien nachhaltig und wirkungsvoll auf viele Teams und große Organisationen auszurollen? In diesem Artikel beleuchten wir die Unterschiede, Vorteile und Einsatzmöglichkeiten beider Ansätze.
1. Was ist LeSS? Ein Überblick
Large-Scale Scrum (LeSS) ist ein Framework, das Scrum-Prinzipien konsequent auf mehrere Teams ausdehnt. Dabei setzt LeSS bewusst auf Einfachheit sowie schlanke Strukturen und verfolgt das Ziel, die Agilität nicht durch komplexe Prozesse zu verwässern.
Merkmale und Grundprinzipien von LeSS
- Ein Backlog, ein Product Owner: Auch bei mehreren Teams bleibt das Product Backlog zentral. Die Verantwortung des Product Owners bezieht sich auf das gesamte Produkt.
- Gemeinsame Sprintplanung: Alle Scrum-Teams, die gemeinsam an einem Produkt arbeiten, starten den Sprint gleichzeitig und stimmen sich dabei eng miteinander ab.
- Synchronisierte Sprints: Die Teams liefern am Ende jedes Sprints gemeinsam ein integriertes Produktinkrement.
- Fokus auf Lernen und kontinuierliche Verbesserung: LeSS fördert Transparenz, intensive Teamkommunikation sowie regelmäßige Retrospektiven über Teamgrenzen hinaus.
Vielleicht erscheint dieser Ansatz zunächst sehr puristisch, doch genau das ist Teil seiner Philosophie: Je weniger Bürokratie, desto mehr können Teams Verantwortung übernehmen und wirklich agil arbeiten.
Varianten: LeSS und LeSS Huge
LeSS unterscheidet zwischen der einfachen Variante, die für bis zu acht Teams gedacht ist, und „LeSS Huge“, das auch die Steuerung von dutzenden Teams in sehr großen Unternehmen ermöglicht. In LeSS Huge erfolgt die Skalierung insbesondere durch die sogenannte „Requirement Area“, sodass Verantwortlichkeiten und Kommunikation weiterhin transparent bleiben.
2. Was zeichnet SAFe aus?
Im Gegensatz zu LeSS versteht sich das Scaled Agile Framework (SAFe) als umfassendes Framework für die Transformation von Unternehmen mit vielen Teams und hochkomplexen Prozessen. SAFe integriert agile, lean und DevOps-Prinzipien und bietet zahlreiche Praktiken, Rollen sowie Artefakte, die vor allem größere Organisationen ansprechen.
Zentrale Elemente von SAFe
- Hierarchische Struktur: SAFe unterscheidet zwischen mehreren Ebenen (Essential, Large Solution, Portfolio und Full SAFe), sodass sich das Framework an die Größe und Komplexität der Organisation anpassen lässt.
- Program Increments (PI): Durch längere Planungszyklen auf Programmebene wird die Koordination zwischen Teams ermöglicht, ohne dabei die Agilität im Tagesgeschäft zu verlieren.
- Zusätzliche Rollen: Neben dem Product Owner und Scrum Master kennt SAFe weitere Rollen wie Business Owner, Product Manager oder Release Train Engineer, um Koordination und Führung zu stärken.
- Kombination verschiedener Methoden: SAFe integriert Praktiken aus Scrum, Kanban und XP, ergänzt um Methoden für Lean Management und Systems Thinking.
- Starke Steuerung durch zentrale Gremien: Programme und Portfolios werden durch verschiedene Komitees strategisch gesteuert, was eine unternehmensweite Ausrichtung unterstützt.
Während LeSS möglichst schlank bleibt, setzt SAFe auf eine klare Strukturierung und stellt viele Tools und Methoden für Unternehmen bereit, die komplexe Anforderungen haben.
Die Implementierungsstrategie bei SAFe
SAFe empfiehlt häufig eine schrittweise Einführung, wobei die Ausbildung der Beteiligten, die Etablierung neuer Rollen sowie die Umstellung von Prozessen Hand in Hand gehen. Damit das Framework seine Vorteile entfalten kann, ist es wichtig, regelmäßig Inspect-and-Adapt-Workshops durchzuführen, um die kontinuierliche Verbesserung zu sichern.
3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Überblick
Beide Frameworks dienen demselben Ziel: Große Organisationen sollen von agilen Methoden profitieren, indem sie diese auf viele Teams skalieren. Dennoch gibt es grundlegende Unterschiede, die Unternehmen bei der Entscheidung berücksichtigen sollten.
Gemeinsamkeiten von LeSS und SAFe
- Agile Werte im Mittelpunkt: Beide Frameworks orientieren sich an den agilen Prinzipien des Manifests.
- Skalierung auf mehrere Teams: Sie bieten Lösungswege, wie agiles Arbeiten über die Teamgrenze hinaus funktioniert.
- Fokus auf Kundennutzen und kontinuierliche Verbesserung: Trotz unterschiedlicher Ansätze steht immer das Produkt und die Kundenorientierung im Zentrum.
Wesentliche Unterschiede auf einen Blick
| Kriterium | LeSS | SAFe |
|---|---|---|
| Komplexität | Minimalistisch, schlank | Strukturiert, komplex |
| Rollen | Wenige zusätzliche Rollen | Vielzahl zusätzlicher Rollen |
| Backlog-Management | Ein zentrales Product Backlog | Mehrstufiges Backlog-System |
| Teamautonomie | Hohe Autonomie der Teams | Stärkere Steuerung durch zentrale Gremien |
| Einsatzumfeld | Mittelgroße Unternehmen, Produkte | Große Organisationen, Programme, Portfolios |
| Implementierungsaufwand | Gering bis moderat | Hoch, oft mit Change Management-Initiative verbunden |
Es lässt sich also feststellen, dass LeSS und SAFe ganz unterschiedliche Paradigmen verfolgen, obwohl sie beide für agile Skalierung stehen.
4. Wann ist welches Framework sinnvoll? Praxistipps für die Entscheidungsfindung
Die Auswahl zwischen LeSS und SAFe hängt von den Anforderungen, der Unternehmensgröße und der Veränderungsbereitschaft ab. Daher sollten Unternehmen genau prüfen, welches Framework zu ihnen passt.
Für LeSS spricht:
- Wünscht sich das Unternehmen möglichst wenig bürokratischen Overhead, überzeugt LeSS mit seiner Klarheit und Einfachheit.
- Wo Teams bereits viel agile Erfahrung haben, können sie mit LeSS frei und flexibel arbeiten, weil wenige Regelwerke und Rollen vorgegeben sind.
- Besonders in Mittelstandsunternehmen und technologiegetriebenen Firmen mit innovationsfreudiger Kultur wirkt LeSS oft als Katalysator für Geschwindigkeit und Lernkultur.
Für SAFe spricht:
- Hochkomplexe Organisationen profitieren von der klaren Strukturierung und den umfangreichen Steuerungsmöglichkeiten. Durch die verschiedenen Ebenen lassen sich Strategie und operative Umsetzung eng verzahnen.
- Wer viele Stakeholder, Abteilungen und Projekte synchronisieren muss, bekommt mit SAFe einen Werkzeugkasten an die Hand, der Sicherheit und Transparenz schafft.
- Unternehmen, die Digitalisierungsinitiativen mit vielen Beteiligten vorantreiben und klassische Strukturen ablösen wollen, setzen oft auf SAFe, um Transformation steuerbar zu gestalten.
Gerade weil beide Frameworks sehr unterschiedliche Anforderungen bedienen, ist es wichtig, nicht nach „richtig“ oder „falsch“ zu urteilen. Entscheidend ist vielmehr, welches Setup zu den eigenen Zielen, Ressourcen und der Firmenkultur passt.
5. Herausforderungen und Erfolgsfaktoren bei der Einführung
Die Implementierung skalierten agilen Arbeitens ist alles andere als trivial. Sowohl LeSS als auch SAFe verlangen eine sorgfältige Vorbereitung und einen klaren Fahrplan. Neben strukturellen Überlegungen spielt die Vermittlung der agilen Werte an alle Beteiligten eine Schlüsselrolle.
Typische Herausforderungen
- Widerstände in der Organisation: Veränderungen werden häufig von Unsicherheit oder Skepsis begleitet. Gerade Führungskräfte müssen lernen, Kontrolle abzugeben und Vertrauen zu entwickeln.
- Integration bestehender Prozesse: Der Wechsel zu einem skalierenden Framework erfordert oft die Anpassung klassischer Abläufe, was zusätzliche Komplexität birgt.
- Qualifizierung und Training: Ohne fundierte Aus- und Weiterbildung der agilen Rollen bleibt das volle Potenzial oftmals ungenutzt.
Erfolgsfaktoren
- Klares Commitment des Managements: Nur wenn Führungsebenen das Framework aktiv unterstützen, wird die Transformation zum Erfolg.
- Transparenz auf allen Ebenen: Kommunikation über Ziele, Fortschritte und Schwierigkeiten ist entscheidend, da sie Missverständnisse reduziert und das Miteinander fördert.
- Konsequente Reflexion und Anpassung: Regelmäßige Retrospektiven, Iterationen und die Bereitschaft, den eigenen Weg fortlaufend zu hinterfragen, führen zu nachhaltigem Erfolg.
6. Praxisbeispiel: Migration von Scrum zu LeSS oder SAFe
Viele Unternehmen starten ihre agile Reise mit klassischem Scrum. Sobald jedoch mehrere Teams ins Spiel kommen oder die Produktlandschaft wächst, stoßen sie schnell an Grenzen.
Beispielhafter Weg zu LeSS
Ein Softwareunternehmen mit fünf Entwicklungs-Teams möchte die Produktentwicklung über die ganze Organisation hinweg synchronisieren. Nach ersten Pilotprojekten entscheiden sich die Verantwortlichen, LeSS einzuführen. Sie vereinheitlichen die Sprintzyklen, implementieren ein zentrales Product Backlog und fördern intensive standortübergreifende Abstimmungen – mit spürbarem Erfolg: Die Time-to-Market sinkt deutlich, gleichzeitig steigt die Zufriedenheit in den Teams.
Beispielhafter Weg zu SAFe
Eine Versicherung mit über tausend Mitarbeitenden plant eine agile Transformation auf Konzernebene. Nach umfangreichen Schulungen werden zunächst beeinflussbare Portfolioebenen aufgebaut und die Koordination durch Release Trains eingeführt. Es wird stärker in Program Increments gedacht und gearbeitet; die Anzahl paralleler Projekte bleibt trotzdem unter Kontrolle. Da viele Prozesse bisher sehr bürokratisch verliefen, schützt SAFe durch klare Strukturen vor Chaos und Überlastung – ein zentraler Erfolgsfaktor in sehr großen Organisationen.
7. Fazit und Ausblick
LeSS und SAFe repräsentieren zwei erfolgreiche Antworten auf die Frage, wie agiles Arbeiten in größeren Organisationen gelingen kann. Wer maximale Flexibilität und Autonomie für seine Teams sucht, findet in LeSS das geeignete Werkzeug. SAFe hingegen spricht Unternehmen an, die auf klare Strukturen, umfangreiche Koordination und Steuerung angewiesen sind.
Weil jedes Unternehmen anders ist, führt der Weg zur skalierten Agilität letztlich immer über eine ehrliche und sorgfältige Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen. Während LeSS Freiräume für Innovation und Teamwork schafft, bietet SAFe den nötigen Halt für komplexe, bereichsübergreifende Initiativen. Entscheidend bleibt: Nur wer das Framework konsequent auf die jeweiligen Rahmenbedingungen zuschneidet, schöpft das volle Potenzial agiler Skalierung aus.
In der Zukunft werden hybride Ansätze und die kontinuierliche Weiterentwicklung der Frameworks die agile Welt weiter prägen. Offenheit für Veränderung, ständiges Lernen und ein starkes Miteinander helfen, die Chancen der Skalierung optimal zu nutzen und die eigene Organisation langfristig erfolgreich zu transformieren.